Hier wird nicht nach Geruch sortiert

Martin Langebach und Andreas Speit laden ein zu einem Streifzug durch Europas »radikale Rechte« - und verlieren den Leser im Gewühl

Das Thema könnte aktueller nicht sein, auch wenn das Buch bereits vor einem Jahr erschienen ist: Bei der Europawahl am 25. Mai 2014 sind Parteien von Rechtsaußen in mehreren Ländern zur stärksten Kraft avanciert und werden insgesamt rund ein Fünftel der Sitze im Europäischen Parlament einnehmen. Umso spannender ist das Projekt des Sozialpädagogen Martin Langebach und des Journalisten Andreas Speit: Für ihr Buch reisten sie ein Jahr lang zu Veranstaltungen der Parteien und Bewegungen der „radikalen Rechten“ in elf europäischen Ländern.

Kleiner Wehrmutstropfen: Der Aufbau ihres Buches ist etwas unglücklich, indem er der chronologischen Abfolge der Reisestationen folgt. So werden bereits früh Gruppierungen erwähnt, die erst später erläutert werden. Hingegen ist der flüssige Schreibstil ein Gewinn, und auch im Thema bewanderte Leser werden interessante Zusatzinformationen finden.

Vor allem auch die reportageartigen Passagen erlauben zum Teil spannende Einblicke in die jeweiligen Szenen, auch wenn sie oft den Charakter eines Protokolls haben. Gelegentlich stören detailgenaue Nichtigkeiten eher, als dass aus ihnen ein Mehrwert entsteht. Doch darüber könnte man hinwegschauen. Viel problematischer ist, dass die Autoren nicht zwischen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten unterscheiden. Denn während erstere sich durch eine Anti-System-Haltung, eine geschlossene Ideologie und das Anstreben einer autoritären Herrschaftsform auszeichnen, richten sich letztere lediglich gegen das politische Establishment, reagieren ideologisch flexibel auf veränderte Situationen und schreiben sich mehr direkte Demokratie auf die Fahnen.

»Radikale Rechte« als Passepartout

Freilich zeigt beispielsweise der französische Front National, dass es Grenzgänger zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus gibt, doch im Allgemeinen kann man Parteien durchaus eindeutig zuordnen. Nicht umsonst bemühen sich die mit ihrem bürgerlichen Auftreten erfolgreicheren Populisten in ihrem jeweiligen nationalen Rahmen um eine Abgrenzung zu den Rechtsextremen. Und nicht von ungefähr wird es auch im neuen Europäischen Parlament rechts außen zwei separate Fraktionen geben.

Stattdessen leihen sich die Autoren vom Politologen Michael Minkenberg den Begriff „radikale Rechte“. Dieser soll schlankerhand alle Parteien und Bewegungen umfassen. „Die Parteien, Kameradschaften und Netzwerke der radikalen Rechten werden aber, wenn eine ideologische Konkretisierung es zulässt, genauer definiert“, heißt es zwar an einer Stelle, doch tatsächlich ist das zu oft nicht der Fall. Scheinbar wahllos werden die Bewegungen und Parteien aneinandergereiht.

So wird die in erster Linie europaskeptische United Kingdom Independence Party (UKIP) in die Nähe der rechtsextremistischen British National Party (BNP) gerückt, deren Vorsitzender einst vorschlug, Flüchtlingsboote aus Nordafrika im Mittelmeer zu versenken. „Während die traditionelle rassistische Feindseligkeit ein geringerer Antrieb für die Unterstützung der UKIP im Vergleich zur BNP ist“, zitieren Langebach und Speit eine britische Studie, „stellen die politische Unzufriedenheit und Fremdenfeindlichkeit die wichtigen Faktoren hinsichtlich der Unterstützung der Partei dar“. Anschließend ziehen die Autoren das allzu saloppe Fazit: „Die UKIP, eine ‚höfliche Alternative‘ zur BNP.“

Differenzieren hilft zuweilen eben doch

Dieses Strickmuster erinnert an die Sentenz des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten der SPD, Gerhard Glogowski: „Zwischen NPD, Republikanern und DVU unterscheide ich nicht. Das hieße, Scheiße nach Geruch zu sortieren.“ Dass der gewählte Sammelbegriff „radikale Rechte“ semantisch deutlich näher bei „rechtsextrem“ als bei „rechtspopulistisch“ angesiedelt ist, verstärkt diesen Eindruck noch.

Dabei hätte ein systematischer Zugriff interessante Differenzierungen zutage fördern können. Beispielsweise werden Homosexuelle von manchen Gruppierungen gehasst, von anderen umworben. Die christliche Religion gilt den einen als zentrales Identitätsmerkmal, den anderen als ebenso verabscheuenswert wie das Judentum. Und während sich die einen noch in tumbem Antisemitismus ergehen, sehen die anderen Israel schon in der Frontlinie zum Dschihad. Der Islamismus als Hauptfeind fast aller Gruppierungen im rechten Spektrum lässt andere Feindbilder in den Hintergrund rücken, wenn hier auch sicherlich viel Instrumentalisierung im Spiel ist und die Israel-Freundlichkeit als Ausweis von Unbedenklichkeit genutzt wird.

Die spannenden kontraintuitiven transnationalen Verbindungen zwischen den einzelnen Gruppierungen, deren Ideologie die Autoren im Anschluss an Minkenberg durch eine „ultranationalistische Vorstellung“ geprägt sehen, hätten ein eigenes Kapitel verdient. Schon die verstreuten Hinweise hierauf stellen jedoch den bemerkenswertesten Befund des Streifzuges durch das rechte Spektrum dar.

So übersetzten etwa tschechische Jungneonazis einen nach der Gedichtvorlage eines amerikanischen Nationalsozialisten von der NPD-Jugend angefertigten rassistischen und antisemitischen Comic. Das Motiv eines Plakats der Schweizerischen Volkspartei zur Ausschaffungsinitiative, das drei weiße Schafe zeigt, die ein schwarzes Schaf per Tritt von ihrem Grund befördern, haben hessische, tschechische, norditalienische und spanische Rechte adaptiert.

In mehrfacher Hinsicht grenzüberschreitend ist mittlerweile auch der Rechts-Rock: „Mitunter weichen Deutsche nach Tschechien aus, um Konzerte zu organisieren, in der Hoffnung, dass sie dort nicht unter dem gleichen polizeilichen Verfolgungsdruck stehen wie im eigenen Land. Häufig spielen deutsche Bands auf Konzerten in Tschechien; dort sind sie mitunter genauso bekannt wie ‚daheim‘. Die Musik schweißt die Szene zusammen – national – international.“

Es fehlt ein übergreifendes Gesamtbild

Rechtsextreme nehmen an Demonstrationen befreundeter ausländischer Gruppierungen teil und reden bei deren Kundgebungen. Allerdings stößt die Herausbildung einer „paneuropäischen Rechten“ im Wortsinne an Grenzen, nämlich in Form des Anspruchsdenkens an Territorien jenseits des eigenen Staatsgebiets. Auch wenn solche Gebietsansprüche ebenfalls von manchen Rechtspopulisten – etwa von der ungarischen Fidez – erhoben werden, betrifft diese Sollbruchstelle doch eher die Rechtsextremen.

Inwieweit Rechtspopulisten und Rechtsextreme im neuen Europäischen Parlament jeweils unter sich, aber punktuell auch miteinander kooperationsfähig werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen. Dass die Bereitschaft, hierfür Konzessionen zu machen, gestiegen ist, kann man an der Positionsänderung des Front National in Bezug auf homo-sexuelle Partnerschaften ablesen, die eine Kooperation mit der niederländischen Wilders-Partei ermöglichen soll.

Insgesamt betrachtet, greift das Buch also ein wichtiges Thema auf, doch es fehlt ein übergreifendes Gesamtbild. Stattdessen verlieren sich die Autoren zu oft in ihrem deskriptiven Stil – und dabei am Ende auch den Leser.

Martin Langebach und Andreas Speit, Europas radikale Rechte: Bewegungen und Parteien auf Straßen und in Parlamenten, Zürich: Orell Füsli 2013, 288 Seiten, 21,95 Euro

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