Ein kruder Cocktail

Torben Lütjen hat ein ebenso dichtes wie faszinierendes Porträt des amerikanischen Konservativismus geschrieben. Brummschädel nicht ausgeschlossen

Der Cocktail ist eine amerikanische Erfindung. Die meisten Cocktails entstehen, indem mit verschiedenen Zutaten herumexperimentiert wird – wobei die Erfolgsaussichten steigen, wenn man eine grundsätzliche Ahnung davon hat, was zusammenpasst und was nicht.

Der amerikanische Konservatismus mutet aus europäischer Sicht zunächst an wie ein etwas kruder ideologischer Cocktail, bei dessen Zutaten man nicht unbedingt auf die Idee kommen würde, sie zu kombinieren. Doch im Laufe der Zeit wurden diese immer wieder neu zusammengemischt. Die historische Entwicklung dieser Mischung erörtert Torben Lütjen in einem Band, dessen Umfang eher einem Shot, dessen Titel aber einem Longdrink gleicht: Partei der Extreme: Die Republikaner, Über die Implosion des amerikanischen Konservatismus. Dem Göttinger Politikwissenschaftler geht es dabei weniger um die Historie der Republikanischen Partei, sondern um eine Geschichte des amerikanischen Konservatismus als einer intellektuellen und sozialen Bewegung. Ursprünglich waren die Republikaner – wie auch die Demokraten – eine ideologisch sehr breit aufgestellte Sammlungspartei, die sich erst ab den sechziger Jahren zum Hort des Konservatismus wandelte. Folgerichtig beginnt Lütjens Schilderung nicht mit Abraham Lincoln im Jahr 1854, sondern erst 1933 mit Franklin D. Roosevelts New Deal. Dass der amerikanische Konservatismus als konsistente ideologische Bewegung so jung ist, liegt an der Unumstrittenheit der Amerikanischen Revolution, die – anders als die Französische Revolution in Europa – weder eine entmachtete Aristokratie zurückließ, noch antiklerikale Haltungen hervorbrachte.

Wirtschaftsliberalismus und Paranoia

Mit Roosevelts Wende vom Nachtwächter- zum modernen Interventionsstaat sah sich die Wirtschaftselite jedoch in ihrer gesellschaftlichen Position bedroht. Die Bezeichnung „konservativ“, von Roosevelt zur Delegitimierung der Opposition gedacht, lehnten seine Gegner zunächst ab, da sie sich als wahrhaft Liberale betrachteten. Schließlich deuteten sie diese Zuschreibung aber positiv um und benutzten sie zur Selbstkennzeichnung, was noch heute für „transatlantische Sprachverwirrungen“ sorgt, wie Lütjen betont. Aus dieser Zeit stammt auch der schrille Alarmismus der amerikanischen Konservativen, dass jegliche Staatsintervention unweigerlich in den Totalitarismus führe.

Der konservative Ur-Cocktail bestand also aus zwei Teilen Wirtschaftsliberalismus und einem Teil Paranoia. Als Drink der Eliten fand er zunächst wenig politische Nachfrage. Nach 1945 von Joseph McCarthy mit antikommunistischer Hysterie versehen und von William F. Buckley, der die aberwitzigsten Verschwörungstheorien herausfilterte, mit einen Schuss Anti-Intellektualismus und christlichen Spurenelementen abgeschmeckt, wuchs die Popularität des konservativen Gebräus über elitäre Wirtschaftszirkel hinaus. Erstmals prominent gelistet wurde es aber erst in der Südwest-Abmischung von Barry Goldwater, dem republikanischen Präsidentschaftskandidaten von 1964. Der Senator von Arizona fügte dem Ideologiemix den unkonservativen Frontier-Pioniergeist seines Heimatstaats hinzu und gab dem Anti-Regierungs-Geschmack eine kulturelle statt bloß eine abstrakt-wirtschaftstheoretische Grundierung. Das Ganze verrührte er mit außenpolitischem Interventionismus Marke Rollback sowie subtilem Rassismus. In den einstigen republikanischen Hochburgen im Nordosten fiel Goldwaters Gemisch zwar durch, in den einstigen demokratischen Hochburgen im Süden vermochte er damit aber die Anhänger der Rassentrennung für sich zu gewinnen.

Homosexualität und Schulgebete

Das southern realignment machte die Konservativen ebenso nachhaltig konservativer wie die Demokraten liberaler. George Wallace, Richard Nixon und Pat Buchanan fügten der Melange populistische Wutpolitik im Namen der „schweigenden Mehrheit“ hinzu – gegen die emanzipatorische Identitätspolitik der „liberalen Eliten“. Die sozioökonomische Konfliktlinie wurde mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt, vor allem mit der 180-Grad-Wende der National Rifle Association 1977, die bis dahin eher für Waffenregulierung eintrat, und den culture wars um die amerikanische Seele in den achtziger und neunziger Jahren. Mit Themen wie Abtreibung, Homosexualität und Schulgebete gewann Ronald Reagan die innerhalb des amerikanischen Protestantismus aufgestiegene christliche Rechte für den republikanischen Cocktail. Der konservative Säulenheilige, der auf eigentümliche Weise Fortschrittsoptimismus („It’s morning in America“) und Unsere kleine Farm-Nostalgie verband, machte mit Steuersenkungen, Deregulierung und einem Wettrüsten gegenüber der Sowjetunion in den Augen seiner Anhänger endlich ernst mit von Nixon noch „verratenen“ Forderungen. Dass Reagan gleichzeitig die Ausgabenreduktion sträflich vernachlässigte und damit dem Land einen riesigen Schuldenberg hinterließ, dass er im Kulturkrieg keine Geländegewinne erzielen konnte – geschenkt.

Der wiedergeborene Christ George W. Bush servierte 20 Jahre später im Grunde einen Reagan-Wiederaufguss, wobei der war on terror den Antikommunismus als Bindemittel für Unvereinbares ersetzte. Bush scheiterte in ähnlicher Weise wie Reagan, durfte aber anders als dieser nicht mehr auf die Milde der Konservativen hoffen. Spätestens mit seiner Intervention in der Finanzkrise galt er als Abtrünniger, zumal durch die Kooperation mit den Demokraten. Das Ressentiment gegen dieses „Elitenkartell“ gab dem Populismus im konservativen Cocktail eine neue Note, die wir seither zur Genüge kosten mussten: der Fox-News-getränkte Tea-Party-Flavour gegen das Establishment beider Parteien, sich in Echokammern verstärkende Verschwörungstheorien und ein Anti-Intellektualismus à la Sarah Palin. Die fundamentaloppositionelle Mischung wurde nun toxisch, wie etwa der einstige Tea-Party-Liebling Marco Rubio feststellen musste, nachdem er in der Einwanderungsfrage auch nur einen Schritt auf die Demokraten zugegangen war. Donald Trump gewann die Nominierung der Republikanischen Partei denn auch als konsequenter Anti-Politiker, keineswegs als konsequentester Verfechter konservativer Maximen wie small government oder christlicher Werte.

Trumps Sieg vollendet den Kollaps

Torben Lütjen vollendete sein Buch einen Monat vor der Präsidentschaftswahl. Dass er Trump keine großen Siegeschancen gegen Hillary Clinton zubilligte, sei ihm nachgesehen – wer tat das schon? Diese Fehleinschätzung schmälert allenfalls die Lektüre der letzten drei Seiten. Auf den 124 Seiten davor liefert der Autor ein so dichtes wie faszinierendes Porträt des amerikanischen Konservatismus, in dem neben dem ideologischen Cocktail auch die Akteure, Organisationen, Wählergruppen und kanonischen Bücher behandelt werden. Have a taste! Aber Vorsicht: Hinter dem flüssigen Schreibstil, der das Buch in wenigen „Schlücken“ konsumierbar macht, lauert eine normativ schwer verdauliche politische Entwicklung – Brummschädel nicht ausgeschlossen.

Torben Lütjen, Partei der Extreme: Die Republikaner, Über die Implosion des amerikanischen Konservatismus, Bielefeld: Transcript Verlag 2016, 148 Seiten, 14,99 Euro

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