Drei Prinzipien zeitgemäßer Arbeitspolitik

Die Sozialdemokratie muss sich ohne Wenn und Aber für eine Arbeitswelt einsetzen, die den Wert der Arbeit achtet und die Würde der Menschen wahrt

Die internationale Finanzkrise hat uns vor Augen geführt, dass mit wenigen Mausklicks große Geldsummen vernichtet werden können. Für die meisten ist dieses globale Spielcasino unverständlich. Wir fragen uns: Was ist unsere Arbeit noch wert, wenn unser Lohn auf den Finanzmärkten in kürzester Zeit verhundertfacht oder hundertfach vernichtet werden kann? Welchen Wert hat unsere Arbeit im Vergleich zur Hand­be­wegung eines Investmentbankers? Der Glaube an die Wert­schätzung der eigenen Arbeit und an das Fortkommen durch eigene Anstrengung ist spätestens durch die Fi­nanzkrise erschüttert. Die Würde der Arbeitnehmer steht in Frage.

Unsere Gesellschaft definiert sich über Arbeit. Arbeit ist Lebensinhalt, Arbeit stiftet Sinn, Arbeit bringt Wert­schät­zung. Deshalb bewirkt die Finanzkrise neben der Krise am Arbeitsmarkt auch eine Gesellschaftskrise. Unser Ziel muss sein, der Arbeit ihren Wert zurückzugeben und die Würde der Menschen zu wahren. Denn an ihrer Würde in der Ar­beits­welt zweifeln nicht nur diejenigen, die auf dem Ar­beits­markt keine Chance haben, sondern auch die Fach­arbeiter und Angestellten, deren kleines Angespartes für das Alter in der Finanzkrise gelitten hat. Der Wert von Arbeit und die Würde der Arbeitnehmer sind Anliegen aller Bürger, die mitten im Leben stehen. Um diese Menschen muss sich die SPD kümmern.

Wenn die Einkaufsabteilung das Personal anheuert

Jedoch gilt in vielen Unternehmen und in der Gesellschaft das Motto „Geiz ist geil“. Überall geht es darum, wie man für möglichst wenig Geld möglichst viel Leistung erhält. In den Unternehmen wird nicht mehr die Frage gestellt, wie viel die Arbeit wert ist, sondern es wird gefragt, wer die Arbeit am billigsten erledigt. Diese Herangehensweise mag bis zu einem gewissen Grad einer betriebswirtschaftlichen Logik entsprechen. Aber damit zerstören wir unsere volkswirtschaftliche Grund­lage. „Geiz ist geil“ geht immer zulasten der Beschäftigten: Leiharbeit und Werkverträge nehmen zu, Löhne werden nach unten gedrückt und immer mehr Menschen sind trotz Arbeit auf Geld vom Staat angewiesen.

In den Unternehmen wird Personalpolitik zunehmend in den Einkaufs- statt den Personalabteilungen betrieben. Die Firmen stellen keine Menschen mit Fähigkeiten und Wissen an, sondern sie kaufen eine Leistung ein wie sonst Büromaterial oder Maschinen. Die Arbeitskraft ist nur noch ein betriebswirtschaftlicher Faktor. „Geiz ist geil“ bringt aber nur kurzfristig höhere Renditen. Auf lange Sicht führt dieses Motto zu massiven Problemen auf unserem Arbeitsmarkt, in unserer Wirtschaft und in der ganzen Gesellschaft. Dafür tragen die Unternehmen die Verantwortung, und die Folgen treffen auch sie. Daran müssen wir die Unternehmen erinnern.

Die gesellschaftlichen Grundlagen erhalten

Was durch diesen Niedriglohn-Irrsinn kaputt geht, muss die Politik anschließend reparieren. Wo der Lohn nicht zum Leben reicht, springt das Sozialsystem ein. Den durch Niedriglöhne erzielten Profit bezahlt also die Allgemeinheit. Der Arbeits­markt spaltet sich immer extremer in gut bezahlte Arbeits­plätze, in denen die Menschen ständig erreichbar sein müssen, und prekäre Jobs. Die Folge: Viele Menschen haben keine Zeit mehr für ihre Familie. Ehen scheitern. Auf der andern Seite wachsen viele Kinder in Armut auf. Die Politik muss umsteuern. Es gilt, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass unsere gesellschaftlichen Grundlagen erhalten bleiben: Wir müssen erstens gute Arbeit für alle Menschen schaffen, zweitens die Lebens­qua­lität in der Arbeitswelt verbessern und drittens für mehr Solidarität in den Betrieben und in der Gesellschaft sorgen.

Erstens: Unsere Grundmaxime sollte sein: Arbeit muss sich lohnen. Es geht um Mindestlöhne, gleichen Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort und die Stärkung der Ge­werkschaften in der Tarifpolitik. Gute Arbeit für alle Men­schen heißt auch, allen Menschen eine reelle Chance zu geben. Ich bin häufig in Schulklassen des Berufsvor­bereitenden Jahres zu Gast. Dort wird den Schülern das Gefühl vermittelt, die Gesellschaft brauche sie und ihre Arbeitskraft nicht. Endlich muss jeder Jugendliche ein Recht auf eine Ausbil­dung erhalten, möglichst im dualen Ausbildungssystem, zur Not in Form einer schulischen Ausbildung. Es muss sich für Betriebe lohnen auszubilden – und wer sich verweigert, sollte davon Nachteile haben. Darüber hinaus müssen wir uns um diejenigen kümmern, die schon seit mehreren Jahren keine Arbeit mehr finden. Deshalb benötigen wir einen sozialen Arbeitsmarkt. Um auf die Men­schen besser eingehen zu können, brauchen wir Personal bei der Bundesagentur für Arbeit, das Zeit und Empathie für die Menschen hat. Gute Arbeit für alle bedeutet auch, dass alle das Recht auf Arbeit haben. Wenn geduldete Einwanderer, die teilweise seit Jahrzehnten in Deutschland leben, faktisch noch immer vom Arbeits­markt ausgeschlossen sind, ist das ein Skandal.

Das zweite Thema ist Lebensqualität in der Arbeitswelt. Es wird viel zu oft in die Ecke der technischen Regelungen im Arbeits- und Gesundheitsschutz gedrängt. Dabei ist das Thema aktuell: Psychische Erkrankungen nehmen zu. Arbeits­ver­dichtung, Kostenoptimierung und Personalabbau haben die Ansprüche an jeden einzelnen Arbeitsplatz weiter erhöht, so dass der psychische Leistungsdruck steigt. Die Zunahme von prekärer Arbeit, besonders von Leiharbeit und befristeter Be­schäftigung, führt zu mehr Stress. Die permanente Sorge, den Arbeitsplatz zu verlieren, ist eine psychische Belastung. In vielen Berufen wird dauernde Erreichbarkeit verlangt, verschwimmt die Grenze zwischen Freizeit und Arbeitszeit. Sollte die Zeit, die eine Rechtsanwaltsassistentin abends über ihr Smartphone erreichbar sein muss, als Arbeitszeit angerechnet werden? Wie regeln wir, wann für die Kanzlei Schluss ist mit der Erreichbarkeit der Mitarbeiter? Arbeit darf nicht krank machen. Die Balance zwischen Freizeit und Arbeitszeit muss stimmen, denn Arbeit ist das halbe Leben – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Gutes Leben wird durch gute Arbeit bedingt. Wenn wir uns für gute Arbeit einsetzen, treten wir für eine höhere Lebensqualität der Menschen ein.

Politisches Handeln für mehr Solidarität

Drittens hängen sozialdemokratische Arbeitsmarktpolitik und Solidarität im Betrieb unmittelbar zusammen. Den so genannten Randbelegschaften mit Leiharbeitern, Leuten mit Werk­verträgen und befristet Beschäftigten müssen wir entgegentreten. Dies geht nur mit mehr Solidarität im Betrieb und mit klaren gesetzlichen Regelungen. Natürlich ist es Aufgabe der Politik, der Leiharbeit mittels entsprechender Gesetze den ausbeuterischen Charakter zu nehmen. Doch politisches Han­deln kann nicht die Solidarität innerhalb der Arbeit­nehmer­schaft ersetzen. Es kann nicht sein, dass manche Arbeitnehmer aus den Stamm­beleg­schaften schweigend hinnehmen, dass ihre Kollegen aus der Leiharbeit seit Monaten die gleiche Arbeit für die Hälfte des Lohns verrichten. Übrigens betreffen die Unter­schiede bei Lohn und Absicherung auch Jüngere, die nach ihrer Ausbildung häufig zu schlechten Arbeitsbedingungen übernommen werden.

Diese drei Ziele wären der Beginn einer Neuauflage unserer sozialen Marktwirtschaft. Soziale Marktwirtschaft muss wieder bedeuten, dass jeder die reelle Chance auf das Fort­kom­men durch eigene Anstrengung hat. Dazu müssen wir der Arbeit ihren Wert zurückgeben und die Würde der Menschen wahren. Eine solidarische und gerechte Arbeits­markt­politik, die das Fundament für unseren gesellschaftlichen Zusam­men­halt schafft, geht Hand in Hand mit der stärkeren Regulierung der Finanzmärkte. Denn wer mit Geld zocken will, sollte ins Spielcasino gehen und dort sein eigenes Ver­mögen verjubeln. «

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