Die SPD als Kanzlerpartei

EDITORIAL

Als SPD-Generalsekretärin Katarina Barley die deutsche Sozialdemokratie im Gespräch mit dieser Zeitschrift ganz ohne Ironie als „geilste Partei der Welt“ beschrieb (siehe S. 62), war der aktuelle Höhenflug der SPD in den Umfragen noch nicht ansatzweise absehbar. Unser Gespräch mit Katarina Barley führten wir am 17. Januar. Genau eine Woche später wurde bekannt, dass der sozialdemokratische Kanzlerkandidat Martin Schulz heißen werde. Und erst in den Wochen danach wiederum schossen die Umfragewerte der SPD nach oben. Statt wie zuletzt üblich knapp über 20 stiegen sie ab Anfang Februar auf 30 Prozent – und liegen seither stabil sogar noch darüber.

Wie die Schulz-Saga bis zur Wahl im September und dar über hinaus weitergehen wird, kann niemand seriös vorhersagen. Aber die Entwicklungen im deutschen Parteiensystem seit dem 24. Januar lassen sich durchaus sinnvoll analysieren. Festzustellen ist zunächst, dass das Berliner Kommentariat von der Welle der Euphorie für Schulz komplett auf dem falschen Fuß erwischt wurde. So eingerastet waren jahrelang die gängigen öffentlichen Einschätzungen über die vermeintlich hoffnungslose „alten Tante“ SPD, dass sich die verdatterten Deuter jetzt schwer damit tun, schlüssige Erklärungen für die veränderte Lage zu finden.

Wer verstehen will, was den sozialdemokratischen Aufbruch der vergangenen Wochen möglich machte, muss sich sicherlich mit der Person Martin Schulz beschäftigen. Der muss erst recht eine Antwort auf die Frage finden, welche spezifische gesellschaftlich-mentale Großwetterlage gerade jetzt einem Politiker vom Typus Schulz so viel Zuspruch beschert. Aber der sollte sich unbedingt auch einmal bei Katarina Barley erkundigen, wie sie sich eigentlich selbst im dunkelsten Winter der Sozialdemokratie so sicher sein konnte, dass diese Partei ihre Zukunft noch keineswegs hinter sich habe. Offensichtlich wusste und weiß sie wichtige Dinge über die SPD, die durchaus zu einem abgerundeten Gesamtbild dazugehören.

Dasselbe gilt übrigens für Olaf Scholz. In einem Beitrag unter dem mutigen Titel „Die SPD als Kanzlerpartei“ schrieb Hamburgs Erster Bürgermeister Mitte vorigen Jahres in Heft 3/2016 dieser Zeitschrift: „Wenn die Bürgerinnen und Bürger einen Sozialdemokraten oder eine Sozialdemokratin im Kanzleramt sehen wollen, kann das in Umfragen rasch zusätzlich zehn Prozentpunkte bringen. Zehn Prozentpunkte beträgt im Augenblick der Abstand zwischen uns und der Union. Das ist keine schlechte Ausgangslage für die nächste Bundestagswahl.“ Viele missverstanden Scholz’ Szenario damals als grundloses Pfeifen im Walde. Wie richtig er lag, zeigt sich inzwischen. Auch Scholz versteht anscheinend etwas von der SPD, ihrer Rolle und ihren Möglichkeiten in dieser Zeit, das anderen verschlossen blieb.

Sicher ist wohl dies: Wenn sich jetzt wieder mehr Menschen als bisher der Sozialdemokratie zuwenden, dann tun sie das, weil sie in einer verteufelt komplizierten Zeit ernsten Wirklichkeitssinn, solide Substanz und neue Orientierung erwarten. Je klarer sich die SPD darüber wird, was sie angesichts beispielloser Herausforderungen in Europa und der Welt mit einem Wahlerfolg anfangen will, desto eher kann sie noch unsichere neue Unterstützer an sich binden. Dieses Heft enthält dafür nützliche Ideen.

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