Das Jahr der großen Ungewissheit

Niemand weiß, wie Donald Trump außenpolitisch agieren wird. Dafür hat er sich im Wahlkampf zu häufig selbst widersprochen. Möglich erscheinen drei Szenarien: Kontinuität, Schlingerkurs oder eine Politik, die die Welt in ein Haifischbecken verwandelt

In der internationalen Politik wird 2017 das Jahr der großen Ungewissheit werden. Das liegt vor allem daran, dass niemand wirklich weiß, was der neue amerikanische Präsident außenpolitisch unternehmen oder unterlassen wird. Im Wahlkampf hat sich Donald Trump zwar zu vielen Aspekten der Außenpolitik geäußert, aber fast immer in polemischer, nicht in programmatischer Weise. Niemand weiß mit Gewissheit, ob Trump meint, was er im Wahlkampf gesagt hat – und oft genug hat er sich selbst widersprochen. Niemand weiß, ob Außenpolitik überhaupt seine Priorität sein wird oder ob er sich ganz auf die Innenpolitik konzentriert, zumindest am Anfang. Auch weiß niemand, ob seine Ansichten direkt in Politik umgesetzt werden, oder ob der Regierungs- und Verwaltungsapparat den Befehl von oben in der praktischen Ausführung nicht doch erheblich modifizieren wird. Zudem sehen wir bereits Anzeichen eines Konflikts zwischen Trump und Republikanern im Kongress.

Diese Unsicherheit ist umso problematischer, als die Welt in den Obama-Jahren keineswegs friedlicher und harmonischer geworden ist. Barack Obama war angetreten mit der Absicht, das weltweite amerikanische Engagement zurückzuschneiden, als Antwort auf George W. Bushs Kriege; seine Priorität war „nation-building at home“. Obamas außenpolitisches Projekt bestand darin, Amerika von der Führungsverantwortung für regionale Ordnungen zu entlasten: mit Gegnern Kompromisse zu schließen und mehr Verantwortung auf die Schultern von Alliierten zu verlagern. Die Schwierigkeit, mit der seine Regierung dabei konfrontiert war, bestand jedoch darin, dass dieser Rückzug nicht etwa zu mehr Frieden und Harmonie geführt hat, sondern zu mehr Konflikten um regionale Vormacht.

Hillary Clinton als Nachfolgerin Obamas hätte sich darum bemüht, diesen Rückzug zumindest partiell wieder zurückzuschrauben. Die Kritik, die man von ihren Beratern an Obama hörte, bestand im Wesentlichen in dem Vorwurf, der Präsident habe Amerika in eine Position der Schwäche manövriert. Um wieder Autorität und Handlungsfähigkeit zu gewinnen, müsse amerikanische Außenpolitik wieder aktiver werden, seine -Allianzen erneuern und sich den vorhandenen Konflikten stellen. Amerika müsse Russland, China und anderen wieder aus einer Position der Stärke entgegentreten.

In den vergangenen Jahren haben sowohl Russland als auch China ein Programm der regionalen Expansion ins Werk gesetzt. Was Moskau und Peking als amerikanische Führungsschwäche wahrgenommen haben, hat sie motiviert, ihre Vorstellungen von internationaler Ordnung aggressiver in die Tat umzusetzen. Die Konflikte, die auch 2017 im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen werden, sind zentrale Schauplätze dieses Ringens um die Prinzipien und die Gestalt der internationalen Ordnung: Ukraine, Syrien und das Südchinesische Meer.

Demokratie als existenzielle Gefahr

Den Regierungen in Moskau und Peking ist das Denken in den Kategorien des „liberalen Internationalismus“ fremd. Beide denken in den Kategorien des machtpolitischen „Realismus“: Internationale Politik ist im Kern ein Kampf zwischen den großen Mächten um Vorherrschaft; und dieser Kampf wird hauptsächlich mit militärischen Mitteln (oder deren Androhung) ausgetragen. Bei beiden kommt noch ein weiteres wesentliches Element dazu. Eine internationale Ordnung, die demokratische Selbstbestimmung als zentrale Norm ansieht, bedroht die Dominanz der herrschenden Eliten in ihren Ländern. Nichts ängstigt die herrschenden Kreise in Russland und China so sehr wie die Perspektive der Demokratisierung – für sie eine existenzielle Gefahr. Eine aggressive Außenpolitik dient dem Prestige dieser Eliten und damit ihrem Machterhalt. Zugleich positioniert sich Russland als anti-revolutionäre Schutzmacht von Autokraten und Diktatoren ähnlich wie im 19. Jahrhundert. Der Versuch, Baschar al-Assad in Syrien an der Macht zu halten, dient auch dem Zweck, das Prinzip der autokratischen Legitimität gegen das Prinzip der demokratischen Legitimität zu stärken.

Obama hat sich darum bemüht, mit den autokratischen Mächten einen Modus Vivendi, einen Ausgleich zu finden: der reset mit Russland, der Atomdeal mit dem Iran, die Versöhnung mit Kuba, die langen Gespräche mit der chinesischen Führung. In den Augen autokratischer Machtpolitiker wurden Obamas Gesprächs- und Verhandlungsangebote jedoch oft als Schwäche angesehen, als grünes Licht zur Erweiterung des eigenen Machtbereichs. Dass er in Syrien eine rote Linie zog, diese aber anschließend nicht durchsetzte, dürfte die Hardliner in Moskau und Peking ermutigt haben, ihren Anspruch auf regionale Dominanz noch entschiedener in die Tat umzusetzen.

Wie Präsident Donald Trump im Jahr 2017 in diesen geopolitischen Konflikten agieren wird, ist kaum vorauszusagen. Seine Äußerungen geben zwar vage Anhaltspunkte, aber sie widersprechen sich oft und scheinen im Wesentlichen opportunistisch zu sein: Als Kandidat sagte er offenbar das, womit er glaubte, punkten zu können. Eine tiefergehende Haltung fehlt ebenso wie ein Programm. Wen Trump in die entscheidenden Positionen bringt – Außenminister, Verteidigungsminister, Nationaler Sicherheitsberater – gibt gewisse Hinweise auf einen künftigen Kurs. Es könnte aber auch sein, dass der Handlungsspielraum seines Teams eher gering ist, zumindest in den Fragen, bei denen sich der Präsident engagiert.

Es könnte sein, dass Trump die Dinge außenpolitisch zunächst weitgehend weiterlaufen lässt, dass er dort weitermacht, wo Obama aufgehört hat. Es könnte aber auch sein, dass er einen pointierten Start in der Außenpolitik hinlegen will, dass sie einer der Bereiche wird, in dem Trump sich selbst und seinen Anhängern beweisen will, dass er ein Präsident des Wandels, der Veränderung, des Bruchs ist.

Details interessieren Trump nur wenig

Da es nur äußerst vage Indizien gibt, aber keine Möglichkeit, mit relativer Gewissheit die Aktionen und Haltungen einer Trump-Regierung abzuschätzen, seien hier drei denkbare Szenarien skizziert, wie sich seine Regierung verhalten könnte.

Erste Möglichkeit: weitgehende Kontinuität. In Syrien wird weiter versucht, eine gemeinsame Linie mit Russland zu finden, einen Kompromiss. Hauptziel bleibt, den IS zu bekämpfen; die Opposition gegen Assad, die auch von Obama kaum Hilfe bekam, wird nicht mehr unterstützt. In Bezug auf Russland wird eine Doppelstrategie verfolgt: zum einen Bemühung um Zusammenarbeit in Nahost und anderswo, zum anderen Fortsetzung der Rückversicherungs- und Abschreckungsstrategie im Rahmen der Nato. Gegenüber China setzt man ebenfalls auf eine Doppelstrategie: fortgesetzte Unterstützung der amerikanischen Alliierten und Partner in Ostasien, die sich von China bedroht fühlen, zugleich aber auch das Bemühen um Kooperation und Konfliktvermeidung mit Peking sowie Zusammenarbeit im Bereich „Global Governance“.

Zweite Möglichkeit: Schlingerkurs. Weitgehende Kontinuität, unterbrochen jedoch von gelegentlichen persönlichen Interventionen des Präsidenten. Trump lässt seinem Team freie Hand. Dieses setzt im Großen und Ganzen die Obama-Politik einer Reduzierung der amerikanischen Führungsrolle fort, allerdings mit anderen Akzenten und begleitet von einer Rhetorik, die mehr auf amerikanische Stärke und Führung abzielt. Präsident Trump, der sich für gewöhnlich nicht mit den Details der Außenpolitik beschäftigt, interveniert jedoch immer wieder plötzlich in die Abläufe, in der Regel in Reaktion auf Kritik oder nach einem Kontakt mit einer wichtigen internationalen Führungsfigur. Das Team ist dann um Schadensbegrenzung bemüht, muss aber immer wieder den Kurs wechseln, was zu einer sprunghaften Linie führt, die sowohl Partner als auch Gegner irritiert.

Dritte Möglichkeit: multipolare Ordnung. Die Regierung Trump vollzieht einen programmatischen Schwenk: weg von der internationalen liberalen Ordnung, hin zu einer multipolaren Ordnung. Analog zu seinem Verständnis des Geschäftslebens als Haifischbecken, wo nur der Stärkste und Brutalste überlebt, entwickelt Trump ein darwinistisches Verständnis der internationalen Ordnung, die der des Kreml ähnelt: Wenige Großmächte konkurrieren um Ressourcen und Einflusszonen, kleinere Staaten sind bloß Objekte dieser Konkurrenz und verfügen nur über limitierte Souveränität. Amerika erkennt im Wesentlichen nur noch China und Russland als relevante Spieler an und schließt mit ihnen Deals ab, während die Mittelmächte und kleineren Staaten ohnmächtig zuschauen müssen. Internationale Institutionen und Regelwerke werden lediglich als illegitime Schwächung und Beschränkung gesehen.

Wie reagiert Trump unter Stress?

Es ist zu erwarten, dass die internationalen Gegenspieler der Vereinigten Staaten den neuen Präsidenten testen werden: Wie wird er tatsächlich unter Stress reagieren, wenn Amerika herausgefordert wird, etwa durch militärische Provokationen in der Peripherie? Erfolgt gleich ein massiver Gegenschlag? Oder gesteht man im neu besetzten Weißen Haus den anderen Mächten freie Hand zu? Provoziert ein Konflikt womöglich Verhandlungen und die Bemühung um einen Deal, der auf die formelle oder informelle Abgrenzung von Einflusssphären abzielt?

Auch wenn die Trump-Regierung keinen massiven Schwenk in der Außenpolitik vollzieht, wird die Unsicherheit über die internationale Ordnung 2017 weiter zunehmen. Das Gefühl, dass die Pax Americana zu Ende ist, dass die Amerikaner nicht mehr bereit sind, regionale oder globale Ordnung umfassend zu garantieren, ist bereits 2016 allgegenwärtig. Gegenspieler der USA reagieren darauf mit dem Versuch, den eigenen Einflussbereich auszuweiten. Alliierte und Partner hoffen, dass der Abbau amerikanischer Vorherrschaft nicht zu weit geht, dass Amerika auch weiterhin bereit ist, seine enorme Militärmacht in den Dienst einer multilateralen Weltordnung zu stellen. Einer Ordnung, die von Institutionen und Regeln geprägt ist und in der die weniger mächtigen Staaten die mächtigeren nicht ständig fürchten müssen.

Die Wahl von Donald Trump, der im Wahlkampf die wichtigsten Allianzen infrage gestellt und zugleich von einer Annäherung an Russland als dem aggressivsten Gegenspieler Amerikas gesprochen hat, dürfte jedoch dazu beitragen, dass das Vertrauen in die amerikanischen Garantien für eine liberale internationale Ordnung weiter sinkt. Je unsicherer solche Garantien jedoch erscheinen, umso mehr wird sich jedes Land Gedanken machen, wie es sich in einer wahrscheinlich rauer werdenden Umgebung behaupten kann – welches die Hauptbedrohungen sind, wo die eigenen Stärken liegen und über welche Allianzen man verfügt.

Die Weltordnung müssen jetzt andere wahren

Internationale Institutionen und Regeln, die nicht von Macht gestützt sind, werden weniger respektiert. Die Mächte aber, die bereit sind, in das post-amerikanische Vakuum zu stoßen, sind an eigener Machtentfaltung und Vorherrschaft interessiert, nicht an der Aufrechterhaltung einer fairen Ordnung, die an der regulativen Idee der Gleichheit interessiert ist: Russland, China, Iran. Es wird daher mehr denn je die Aufgabe der liberalen Demokratien sein, internationale Regeln und Institutionen mit Lebenskraft zu füllen: Ländern wie Japan, Südkorea, Indien, Frankreich, Italien, Großbritannien, Deutschland oder Kanada kommt dann eine Schlüsselrolle in der Weltordnung zu.

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