Bremsen gegen den Mietenwahnsinn

Nur wenn die Immobilieneigentümer daran gehindert werden, ihr Eigentum uneingeschränkt zu verwerten, können die Voraussetzungen für den Bau preisgünstiger Wohnungen geschaffen werden. Dafür bräuchte es mutige Politiker, die bereit wären, sich mit der Immobilienwirtschaft anzulegen

Die Mieten steigen. Und besonders in den Großstädten drängen Fragen der Wohnungsversorgung erneut auf die Tagesordnung der stadtpolitischen Debatten. In Berlin mussten kürzlich hunderte Polizeibeamte eine Zwangsräumung gegen den Protest von Mieterinitiativen durchsetzen. In München protestieren Bürgerinitiativen zusammen mit dem ehemaligen Fußballnationalspieler Mehmet Scholl und stadtbekannten Schauspielern gegen den Abriss eines leerstehenden Wohnhauses. In Nordrhein-Westfalen muss sich eine Enquete-Kommission des Landtages mit der Zukunft von Schrottimmobilien im Besitz internationaler Finanzinvestoren auseinandersetzen. Und die neue Bundesregierung diskutiert über eine Mietenbremse.

Diese neue Omnipräsenz der Wohnungsfrage hat einen gemeinsamen Nenner: Wo immer die Interessen der Bewohner und der Städte unter die Räder geraten, geht es letztlich ums Geld. Ob Mieterhöhungen oder Luxusmodernisierungen, verweigerte Instandsetzungsarbeiten oder Abrisspläne – das Geschäft mit den Wohnungen kann unterschiedliche Gesichter annehmen, doch nur selten ein freundliches. Es ist keine Undankbarkeit oder Nörgelneigung und erst recht keine Beliebigkeit, wenn Mieter ihren Protest gegen „zu viel“ oder „zu wenig“ Investitionen auf die Straße tragen. Es ist vielmehr ein Zeichen dafür, dass grundsätzlich etwas im Argen liegt mit der Art, wie wir unser Wohnen organisieren. Eigentlich wäre es eine klassische staatliche Aufgabe, eine angemessene Wohnungsversorgung im Interesse des Allgemeinwohls gegen wirtschaftliche Einzelinteressen durchzusetzen. Wäre. Eigentlich. In der Praxis tut sich die Politik leider sehr schwer damit, Gewinnaussichten von Eigentümern einzuschränken. Politik versteht sich leider auch im Bereich der Wohnungsversorgung vor allem als Gewährleister einer kapitalistischen Ökonomie. Selbst dort, wo es vordergründig um eine soziale Wohnungsversorgung zu gehen scheint, werden letztlich die Interessen der Wohnungswirtschaft bedient.

Prenzlauer Berg: Vom Armenviertel zum Gebiet der Besserverdienenden

Beispiel Altbausanierung: In den international gelobten Programmen, die in Kreuzberg oder St. Pauli mit dem Schlagwort der Behutsamen Stadterneuerung bezeichnet werden, sicherte man sich in den achtziger Jahren die Zustimmung der Bewohner für Sanierungsmaßnahmen, indem man zeitlich begrenzte Mietbeschränkungen durchsetzte. Doch inzwischen sind die Bindungsfristen der Förderprogramme abgelaufen, und die Mieten steigen. Langfristig gelohnt hat sich die Behutsamkeit vor allem für die Immobilienwirtschaft. Eigentümer und Investoren profitierten von umfangreichen Steuerabschreibungen und direkten Subventionen beim Erwerb und der Modernisierung der Häuser. Auch in die Ostberliner Sanierungsgebiete vom Prenzlauer Berg sind seit 1990 über eine Milliarde Euro an öffentlichen Geldern geflossen. Das Ergebnis nach zwanzig Jahren Stadterneuerung: Der Prenzlauer Berg hat sich von einem der ärmsten Viertel Ostberlins zu einem Gebiet der Besserverdienenden verwandelt. Nur noch 20 Prozent der früheren Bewohner leben heute in den Sanierungsgebieten. Ein lohnendes Geschäft für Immobilienbesitzer, denn die Verwandlung vormals preiswerter Wohnungsbestände in ertragreichere Wohnlagen wurde faktisch vom Staat finanziert. Nach Aufhebung der Sanierungssatzungen können Eigentümer nun auf zusätzliche Gewinne aus den steigenden Mieteinnahmen hoffen.

Beispiel Sozialer Wohnungsbau: Auch die Fördersystematik im Sozialen Wohnungsbau folgte diesem Prinzip, und es regnete Millionengewinne für Investoren, Anleger und Banken, während die Mieter nur zeitlich befristet etwas von der Mietpreisbindung hatten. Nach dem Ende der Förderung und der Rückzahlung der öffentlichen Darlehen versiegen die sozialen Effekte der Wohnungsbauprogramme. Die Mieten können dann sogar bis an die oftmals astronomisch hohen Kostenmieten angehoben werden; in Berlin sind es in den Spitzenwerten bis zu 18 Euro pro Quadratmeter. Fazit: Der Soziale Wohnungsbau ist nichts anderes als ein ungeheuer teures Wirtschaftsförderungsprogramm. Mietpreis- und Belegungsbindungen, die im Rahmen der Förderprogramme durchgesetzt werden, bleiben auf den Charakter einer sozialen Zwischennutzung beschränkt. Währenddessen sichert der Staat den Privaten die Übernahme der „unrentierlichen Kosten“ zu.

Beispiel Neubau: Weil Zuwanderung und der Trend zum Single-Leben die Haushaltszahlen in den Städten in die Höhe treiben, wird vielerorts der Wohnraum knapp, vor allem der bezahlbare. Das Pestel-Institut errechnete 2012 bundesweit einen Mangel an über vier Millionen Sozialwohnungen. Die vom zuständigen Minister und von vielen Stadtregierungen präsentierten Lösungskonzepte sehen fast ausschließlich den Neubau von Wohnungen vor. Weil öffentliche Gelder knapp sind, setzt die Politik auf Anreize für den privaten Wohnungsbau: Erleichterter Zugang zu Grundstücken, schnellere Bearbeitung von Bauanträgen und die Einrichtung von Wohnungsbauleitstellen wie in Berlin sollen den Bauherren die Arbeit erleichtern. Um bauwilligen Investoren den Weg zu ebnen, werden in einigen Städten die baurechtlichen Auflagen gelockert und eine großzügigere Gewährung von Genehmigungsausnahmen diskutiert. Dass unter solchen Bedingungen keine preiswerten Mietwohnungen entstehen werden, spielt keine Rolle. Es sind mal wieder die Eigentümer und die Bauwirtschaft, die sich über Vergünstigungen freuen können.

Hartz IV und Wohngeld sind verdeckte Subventionen für Hauseigentümer

Beispiel Subjektförderung: Wohnungspolitiker vieler Parteien, die Immobilienverbände und auch Forschungsinstitute tischen uns regelmäßig Vorschläge für eine so genannte Subjektförderung zur Lösung der Wohnungsfrage auf. Gemeint sind Subventionen für benachteiligte Haushalte, statt einer Finanzierung von preiswerten Wohnungen in Form von Objektförderung. Die öffentlichen Gelder – so das Argument – kämen dann zielgenau bei denen an, die eine Unterstützung wirklich brauchen. Das Ziel solcher Förderung ist es, die zu unterstützen, die sich selbst nicht oder nur eingeschränkt am Markt mit Wohnungen versorgen können. Klingt gut. Und ist es auch – vor allem für die Eigentümer. Denn selbst die Ärmsten werden so in zahlungskräftige Marktteilnehmer verwandelt, und Vermieter kassieren Mieten, die sonst gar nicht gezahlt werden könnten. Doch garantiert der Staat die Mietzahlungen, werden auch die Mietpreise anziehen. Das wird teuer. Für die öffentlichen Kassen und für alle anderen Mieter. Schon jetzt gehen jährlich über 15 Milliarden Euro als Kosten der Unterkunft und Wohngeld an überwiegend private Eigentümer. Gelder, die eigentlich für die Armen gedacht sind, fließen so über die Mietzahlungen an die Vermögenden. Hartz IV-Gesetzgebung und Wohngeld sind letztlich verdeckte Subventionen für Hausbesitzer, deren Verbandsvertreter gern lauthals den „freien Markt“ einfordern. So richtig es ist, die Wohnungsversorgung der Haushalte mit geringem Einkommen sicherzustellen, so sinnvoll wäre es, öffentliche Ausgaben in den Aufbau eines langfristig preiswerten Wohnungsbestandes zu stecken.

Wohin wir auch schauen, ob auf die Steuersubventionen, den Sozialen Wohnungsbau oder die Städtebauförderung: Wohnungspolitik war nie auf die Regelung oder gar Begrenzung immobilienwirtschaftlicher Gewinne ausgerichtet, sondern immer auf deren Sicherung. Wie gesagt: Auch die jährlichen Sozial- und Wohngeldzahlungen in Milliardenhöhe fließen überwiegend in die Taschen privater Eigentümer. Von Steuerabschreibungsgeschenken gar nicht zu sprechen.

Zusammenfassend: Die sechzig Jahre Wohnungspolitik in der Bundesrepublik und im vereinten Deutschland waren vor allem ein riesiges Wirtschaftsförderprogramm für die Immobilienwirtschaft. Unabhängig von den politischen Farben der Regierungen wurden Mieterinteressen immer nur soweit bedient, wie die Gewinne privater Eigentümer nicht berührt waren. Auch die aktuell viel diskutierte Mietenbremse ändert daran nichts, weil sich die geplanten Regelungen nur auf die Wiedervermietungsmieten beziehen und andere Verwertungsstrategien, wie etwa Modernisierungsumlagen oder die Umwandlung in Eigentumswohnungen, nicht berühren.

»Wenn es so beschlossen wird, ist es unser Gesetz«

Egal, wer regiert, private Eigentümer und Investoren haben nichts oder nur wenig zu befürchten. Die großen Parteien sind dabei seit Jahrzehnten eng mit der lokalen Wohnungswirtschaft verbunden und selbst Grüne Bürgermeister (wie in Freiburg) oder eine Regierungsbeteiligung der Linkspartei (wie in Berlin) sind keine Versicherung gegen Privatisierungspläne.

Vor allem auf der Bundesebene konnten sich die Vermieterverbände in den vergangenen Jahren auf die für sie relevanten Entscheidungen verlassen. Wo die Politik nicht unmittelbar mit der Wohnungswirtschaft verwoben ist, griffen die Mechanismen des Lobbyismus und der Patronage: So rühmte sich etwa Kai Warnecke, der stellvertretende Generalsekretär des Eigentümerverbandes Haus & Grund, nach der im Jahr 2013 verabschiedeten Mietrechtsreform seiner gelungenen Lobbyarbeit. In der Verbandszeitschrift Haus und Grund wurde Warnecke so zitiert: „Wenn es so beschlossen wird, ist es unser Gesetz.“ Die Freude ist begründet: Im so genannten Mietrechtsänderungsgesetz werden Zwangsräumungen erheblich vereinfacht, und Mieter können künftig ohne Gerichtsurteil auf der Basis von einstweiligen Verfügungen aus den Wohnungen geräumt werden. Zudem dürfen Eigentümer energetische Sanierungen nun ohne Zustimmung der Mieter durchführen. In den ersten Monaten solcher Sanierungs­arbeiten sind noch nicht einmal mehr Mietminderungen für die mit den Bauarbeiten verbundenen Einschränkungen möglich.

Selbst dort, wo das bestehende Mietrecht eigentlich auf der Seite der Mieter steht, bekommen diese nicht immer Recht. In Berlin entschied lange Zeit ausgerechnet eine Richterin am Landgericht über strittige Mietrechtsfragen, die regelmäßig als Referentin für Immobilienverbände arbeitete: Sie ist über Seminare und Vorträge mit den Eigentümerverbänden im Kontakt. Die seit Jahren schikanierten Mieter der Calvinstraße 21 in Berlin Moabit – die hier ohne Ankündigung zugemauerten Fenster machten bundesweite Schlagzeilen – mussten nach sechs erfolgreichen Amtsgerichtsentscheidungen vor dem Landgericht Berlin ausgerechnet durch diese Richterin einen juristischen Rückschlag hinnehmen. Selbst der sonst in wohnungspolitischen Fragen eher zahme Tagesspiegel fragte: „Ein Fall von Befangenheit? Sie schreibt für eine Grundeigentümerzeitschrift und gibt Vermietern Seminare. Deshalb ist die Richterin Regine Paschke umstritten: Sie sitzt einer Mietberufungskammer vor.“

Die Frage der Befangenheit würde ich gern auf den Bereich der politischen Entscheidungsträger erweitert wissen: Wenn wir von strukturellen Interessenskonflikten zwischen Eigentümern und Mietern ausgehen, wer kann da unabhängig – und frei von eigenen Interessen – über Mietrechtsfragen entscheiden? Die Bundestagsabgeordneten müssen sich seit ein paar Jahren den gewachsenen Transparenzkriterien unterwerfen und beispielsweise biografische Eckdaten, Ausbildungsabschlüsse und Nebeneinkünfte offenlegen. Fast alles erfahren wir über die Abgeordneten. Nur: Wie viele der Abgeordneten und Ausschussmitglieder Mieter und wie viele Vermieter sind, ist leider nicht bekannt. Ebenso wenig wissen wir, wie hoch der Anteil der Eigen­tümer unter den Richtern ist. Zumindest alle, die regelmäßig über Mietrechtsfragen zu entscheiden haben, sollten dies offenlegen müssen.

Eine gute Wohnung zu angemessenem Preis? Das wird schwierig

Immobilienwirtschaftliche Verwertungsinteressen und das Mieterinteresse, eine gute Wohnung für einen angemessenen Preis mieten zu wollen, geraten immer wieder in Konflikt. Kein Wunder, haben wir es hier schließlich auch mit einem strukturellen Widerspruch zu tun, bei dem der Vorteil der einen Seite unmittelbar die Zufriedenheit der anderen Seite schmälert. Doch wer schützt die einen vor den anderen? Im internationalen Vergleich gilt das deutsche Mietrecht als ein sehr weitgehendes Instrument zum Schutz der Mieter. Doch jedes Gesetz ist nur so viel wert wie seine tatsächliche Praxis. Auf den Ebenen der Gesetzgebung und der Rechtspraxis ist ein erheblicher Einfluss der Eigentümerlobby zu verzeichnen.

Die Unabhängigkeit der Gerichte von der Politik gilt gemeinhin als wichtige Voraussetzung für die Herausbildung und den Fortbestand eines demokratischen Gemeinwesens. Interessengeleitete Gerichtsurteile und die allzu offene Einflussnahme von Lobbygruppen werden in der Berichterstattung über Russland, die Ukraine oder irgendwelche Regime im Nahen Osten völlig zu Recht kritisiert – doch es gibt keinen Grund für Hochnäsigkeit in diesen Fragen: Auch in der Bundesrepublik Deutschland gibt es Einflussnahme. Beispielsweise versteht es die Lobby der Eigentümer immer wieder, die eigenen Wünsche durchzusetzen und ihre Forderungen am meinungsbildenden Prozess vorbei in Gesetze und die gängige Rechtspraxis münden zu lassen.

Das Prozedere selbst ist eigentlich immer gleich. Egal ob auf Bundesebene, in den Ländern oder Städten: Werden Programme im Bereich der Wohnungsversorgung diskutiert, stehen die beteiligten Akteure in der Regel schon fest. Warum? Die Politiker verfügen nun einmal nicht über eine ausreichende und selbständige Fachkompetenz in einem so komplexen Bereich wie der Wohnungsversorgung, diesem Geflecht aus Gesetzen und Förderprogrammen der unterschiedlichsten politischen Akteure, auf Bundes- und Landesebene wie auch in den Städten. Da werden neue Leitlinien, Programme und Steuerinstrumente gerne direkt mit denen besprochen, die vermeintlich über mehr Fachwissen verfügen. Und da das Wohnungswesen auf das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure angewiesen ist, werden all jene an der Diskussion um eine neue Wohnungspolitik beteiligt, die in der Praxis für den Bau, die Finanzierung, die Planung und die Bewirtschaftung von Wohnungen zuständig sind.

In einer Art von wohnungspolitischem Wanderzirkus kommen Immobilienverbände, Vertreter der Bauwirtschaft, Architektenverbände und Stadtplaner zusammen und definieren erst die Probleme, die gelöst werden sollen, bevor sie mögliche Lösungskonzepte vorschlagen. Nicht ganz zufällig sind es vor allem jene Interessengruppen, die am Geschäft mit den Wohnungen verdienen. Selbst wenn Vertreter der Mieterverbände überhaupt mit am Tisch sitzen, können sie gegen diese Allmacht kaum angehen. Denn die anderen haben die Definitionshoheit über die Wohnungsfrage bereits erlangt. Und wer das Problem definiert, der kann eine Lösung aus dem Ärmel ziehen, die natürlich die Eigeninteressen am besten bedient. Es ist nur zu natürlich, dass die Vorschläge, die diskutiert werden, vor allem die Gewinnaussichten der Investoren im Blick haben. Die Wohnungspolitik kann faktisch zu keinen wirklich bahnbrechend neuen Ergebnissen kommen, solange sie von den immer gleichen Mitspielern bestimmt wird.

Eigentlich müsste die Politik selbst die Probleme analysieren und eigene Lösungswege entwickeln, und sich danach Partner suchen, mit denen die gesetzten Ziele verwirklicht werden könnten. In der Wohnungspolitik stehen die Partner (fast) immer schon fest. Doch selbst wenn jemand die besten Schwergewichtsboxer des Landes zusammenriefe, er würde mit ihnen keine Preise im Kunstturnen gewinnen. Und solange mit dem Filz aus Politikern und Lobbyisten, aus Banken, Versicherungen und der am Immobilienmarkt interessierten Großfinanz nicht gebrochen wird, werden Utopien einer sozial gerechteren Stadt bloße Träumerei bleiben.

Die Immobilien-Verwertungs-Koalition und ihr Geschäftsinteresse

Das enge Netzwerk von Wirtschaft und Politik ist dabei nicht neu: Jede Diskussion um die Wohnungspolitik wird von der Immobilien-Verwertungs-Koalition bestimmt, wie ich sie hier einmal nennen möchte. Deren gemeinsames Geschäftsinteresse bestimmt dann die Bedingungen, unter denen Politik gemacht wird. Ausgehend von den Interessen dieser Koalition werden die konkreten Maßnahmen, Förderprogramme und rechtlichen Rahmenbedingungen entwickelt. Selbstverständlich wird das alles öffentlich legitimiert, schließlich sind mit der Wohnungspolitik in der Regel öffent­liche Subventionen verbunden – über direkte Förderprogramme oder indirekte Steueranreize. Und das will demokratisch entschieden sein. Doch der Ratsschluss der großen Weisen mit dem unendlichen Eigeninteresse ist nie in Gefahr. Harald Bodenschatz – langjähriger Professor für Stadtsoziologie an der Technischen Universität Berlin – hat bereits Ende der achtziger Jahre festgehalten, wie neue Schwerpunktsetzungen der Wohnungspolitik in ein übergreifendes hegemoniales Projekt eingebettet werden. So beschrieb er treffend, wie die vielen Beteiligten aus Planung, Bauwirtschaft und Bankensektor am Ende eine gewünschte Ausweitung der Fördermöglichkeiten für Altbausanierungen durchsetzen konnten, weil sie diese von einer massiven Propaganda für den Erhalt der Altstädte und der historischen Bausubstanz begleiten ließen. Das waren ganz neue Töne, galten doch noch bis weit in die sechziger Jahre Eigenheimsiedlungen am Stadtrand als beste und modernste Wohnform überhaupt. Im Gegensatz dazu hielten viele – bis zu der Werbeaktion – die historischen Gründerzeitviertel in den Innenstädten für überholte und veraltete Bauformen. Erst mit der Aussicht auf Gewinn durch die Modernisierung der alten Häuser setzte ein Umdenken ein. Auf einmal entdeckten Planer und Architekten den kulturellen Wert der Altbauten. Stadtpolitiker schrieben sich die „Rettung der alten Stadt“ auf die Fahnen und in die jeweiligen Parteiprogramme, und Wohnungsunternehmen entwickelten Pläne zur Modernisierung der zerfallenden Häuser. Es ging ja mal wieder um etwas Wichtiges, ach ja, es ging auf einmal ums Geld.

Das ist noch heute so. Die attraktivste Gewinnaussicht wird stets mit einer hegemonialen Begleiterzählung verknüpft. Im Augenblick wird das Wohnen im Eigentum wie ein Sicherheitsversprechen in Zeiten mit unsicheren Zukunftsaussichten beworben, und jeder Neubau wird als alternativlos für eine möglichst positive Stadtentwicklung herausgestellt. Von allen Seiten hören wir, dass nur der Neubau die Märkte entspannt. Dass neue Anreize für den Neubau her müssen. Dass die unerträgliche Blockadehaltung neubaufeindlicher Bürgerinitiativen endlich überwunden werden müsse. Wo immer engagierte Nachbarschaftsinitiativen gegen ein umstrittenes Neubauprojekt mobilisieren, wird ihnen vorgeworfen, ihren Vorgarten zu Lasten des Allgemeinwohls zu verteidigen. Wo immer in Frage gestellt wird, dass Neubauten das aktuelle Wohnungsproblem tatsächlich lösen, werden Experten mit neuen Bevölkerungsprognosen und Studien präsentiert, die uns von der Notwendigkeit des Neubauprogramms überzeugen sollen.

Kaum macht jemand den Vorschlag, die Wohnungsversorgung stärker zu regulieren und als öffentliche Aufgabe anzusehen, gerät er unter den Verdacht, ein Regime der Kontrolle und Unfreiheit etablieren zu wollen. Darf dieses rote Tuch unsere Politik davon abhalten, das Richtige zu tun? Ganz ohne revolutionären Umsturz werden Marktmonopole in anderen Bereichen reguliert, um eine Versorgung für möglichst viele sicherzustellen. Seien es Handy-Tarife oder Roaming-Gebühren, der Gesetzgeber schränkt das freie Handeln der Unternehmen in diesen Bereichen ebenso ein wie Strompreise und Fahrgasttarife. Europaweit gibt es allein für die Versorgungsnetze, den Verkehrsbereich und die Telekommunikation mehr als 40 europäische und nationale Regulierungsbehörden. Aber hat schon einmal jemand von einer Aufsicht zur Kontrolle der Grundstückspreise oder der Immobilienspekulation gehört? Nein? Kein Wunder, denn das würde dem Geschäft mit den Wohnungen den spekulativen Investitionsanreiz nehmen.

Anständige Wohnungen und Nachbarschaften sollten ein Recht sein, kein Privileg

Es sind die Spekulationen mit den zu erwartenden Erträgen, die den Mietern das Leben so erschweren. Diese Spekulationen stehen einer sozial gerechten Versorgung mit Wohnungen im Weg. Peter Williams und Neil Smith sind vor dem Hintergrund ihrer amerikanischen Erfahrungen schon vor dreißig Jahren zu der Erkenntnis gekommen, dass anständige Wohnungen und Nachbarschaften ein Recht sein sollten und kein Privileg. Die Lösung ist ihrer Meinung nach langfristig allein die Dekommodifizierung der Wohnungsversorgung. Gemeint ist damit die Ablösung von der Marktabhängigkeit. Doch in diesem Sinne hat sich wenig getan auf dem deutschen Wohnungsmarkt – und die Regulierungswut der Politik zielte glatt aufs Gegenteil. Warum nur tut sich die öffentliche Hand so schwer damit, sich von den Gesetzen des freien Markts in diesem Bereich zu verabschieden? Von allen Seiten wird uns eingeredet, dass ohne einen Gewinnanreiz niemand mehr in den Wohnungsbau oder die Instandhaltung von Wohnungen investieren würde. Aber das ist falsch!

Richtig ist hingegen: Nur die profitorientierten Bauträger und Unternehmen würden nicht mehr investieren. Aber in anderen Bereichen des öffentlichen Lebens kommt die Allgemeinheit gut ohne deren Investitionen aus. Beispiele sind etwa die Bildung, die öffentliche Sicherheit oder der Straßenbau, die – überwiegend – losgelöst von unmittelbaren Gewinnaussichten als öffentliche Aufgabe angesehen werden.

Der Frankfurter Politologe Joachim Hirsch hat eine Diskussion um die „Soziale Infrastruktur“ vom Zaun gebrochen. Dazu hat er mit seinen Kollegen Modelle entwickelt, wie allgemein notwendige Bereiche der Daseinsvorsorge öffentlich und jenseits des Marktes organisiert werden können. Was genau ist darunter zu verstehen? Diese Soziale Infrastruktur würde solche Dienste und Güter öffentlich fördern und kostenlos bereitstellen, die von einzelnen Bürgern nicht in Eigenverantwortung hergestellt werden können.

Was spricht dagegen, die Wohnungsversorgung als eine solche öffentliche Aufgabe anzusehen? Die Gegner eines solchen Denkmodells führen gerne die hohen Kosten ins Gefecht, doch allein von den milliardenschweren Subventionen, die als Kosten der Unterkunft, als Wohngeld und als Steuergeschenke für Eigentümer Jahr für Jahr in die Taschen der Besitzenden fließen, ließe sich eine substanzielle und soziale Wohnungspolitik sehr wohl finanzieren. Vor allem langfristig würde ein dauerhaft mietpreisgebundener Wohnungsbestand die öffentlichen Haushalte sogar entlasten.

Gesucht: Mutige Politiker, die sich mit der Immobilienwirtschaft anlegen

Und in der Geschichte gibt es sogar Beispiele dafür, wie das Wohnen in eine öffentliche Angelegenheit verwandelt werden kann. Zwischen 1918 und 1934 gelang es der damals regierenden Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) in Wien einen bis heute nachwirkenden Bestand an preiswerten Gemeindewohnungen zu errichten. Über 60 000 Wohnungen in Gemeindehand entstanden so allein zwischen 1925 und 1934, und bis heute ist die Stadt Wien der größte Wohnungseigentümer in der österreichischen Hauptstadt. Wie das finanziert wurde? Aus den Einnahmen einer Wohnbau- und einer Luxussteuer gelang es dem Staat, dauerhaft preiswerte Mietwohnungen zu errichten. Statt 30 Prozent des Einkommens musste ein durchschnittlicher Arbeiterhaushalt in den städtischen Wohnungen nur noch vier Prozent des Einkommens als Miete aufbringen. Was ein vergleichbares System heute für positive Effekte auf die Binnennachfrage hätte, ist kaum auszudenken. Doch das Geheimnis des „Roten Wien“ waren nicht allein die Umverteilungseffekte. Der Architekturtheoretiker Michael Zinganel macht uns auf eine viel tiefer greifende Folge der Wiener Wohnungspolitik aufmerksam: So gelang es offenbar durch diese Art der progressiven Besteuerung des privaten Immobilienbesitzes, den privaten Wohnungsmarkt so weit einzuschränken, dass die öffentliche Hand in der Lage war, die freien Grundstücke preisgünstig aufzukaufen und den Traum einer sozialen Wohnungsversorgung Wirklichkeit werden zu lassen.

Fazit: Nur wenn die Immobilienbesitzer daran gehindert werden, ihren Besitz uneingeschränkt zu verwerten, können die Voraussetzungen für den Bau preisgünstiger Wohnungen geschaffen werden. Dafür bräuchte es mutige Politiker, die bereit wären, sich mit der Immobilienwirtschaft anzulegen. Angesichts der aktuellen Wohnungskrise in den Großstädten wäre es an der Zeit zu handeln. Die Politik sollte sich nicht fürchten, Investoren zu verschrecken, denn das ist die Grundvoraussetzung: Nur wo es gelingt, profitorientierte Akteure aus der Wohnungsversorgung herauszuhalten, öffnen sich Türen für eine wirklich andere, für eine sozial gerechtere Wohnungspolitik.

Doch die Geschichte zeigt auch: Politik tut nichts von allein und muss zum Jagen getragen werden. Insofern wird die künftige Wohnungspolitik auch davon abhängen, ob es den unzähligen Kiezinitiativen, Mieterorganisationen und stadtpolitischen Protestmobilisierungen gelingt, ihre bisher bestehende Fragmentierung zu überwinden und gemeinsamen Druck zu entfalten. Wo Markt und Politik versagen, ist die Gesellschaft gefragt. Wir selbst sind also aufgerufen, aktiv zu werden. Wohnen ist ein Grundrecht. Wir haben es in der Hand, es durchzusetzen.

Dieser Essay basiert auf Andrej Holms Buch „Mietenwahnsinn: Warum mieten immer teurer wird und wer davon profitiert“, das im März 2014 im Droemer Knaur Verlag erscheint.

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