Auf sie mit Gebrüll oder moderate Annäherung?

Welche Strategien sollten die Volksparteien im Umgang mit rechtspopulistischen Herausforderern wählen? Europäische Erfahrungen lassen nur eine Antwort zu: Entscheidend ist, dass sozialkonservative Wähler sich von Sozialdemokraten verstanden fühlen

Rechtspopulistische Parteien wie der Front National, die United Kingdom Independence Party UKIP oder die Schwedendemokraten sind 2015 zur drittstärksten politischen Kraft in ­Europa aufgestiegen. Nachdem sie zu Beginn interne Flügelkämpfe aushalten mussten, genießen sie nun die Zustimmung von 15 bis 25 Prozent der Wähler. Der Flügelkampf innerhalb der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) könnte ein ähnlicher Schritt zur internen Konsolidierung sein. In Anbetracht dieser möglichen Entwicklung lohnt ein Blick ins Ausland: Wie gingen europäische Sozialdemokraten mit dem Aufstieg von Rechtspopulisten um – und mit welchen Folgen?

Direkte Konfrontation schadet Sozialdemokraten

Grundsätzlich zeigt sich: Wählen die Sozialdemokraten die direkte Konfrontation, schärfen sie zwar kurzfristig das eigene Profil und verzögern die Abkehr ihrer Wähler von progressiver Politik. Langfristig jedoch schwächt diese Strategie die Sozialdemokraten und führt schließlich zu einem umso stärkeren Rechtsruck in der Europa- und Migrationspolitik. Vermeiden Sozialdemokraten hingegen die direkte Konfrontation und nähern sich moderat den Sorgen ihrer Wähler an, so hat dies den gegenteiligen Effekt: Liberale Wähler werden zwar irritiert, denn kurzfristig vertritt die Sozialdemokratie restriktivere Standpunkte in der Europa- und Migrationspolitik. Langfristig jedoch stärkt diese Taktik die strategischen Optionen der Sozialdemokraten und erlaubt großangelegte progressive Politiken.

Die Folgen beider Strategien ergeben sich aus den politischen Mechanismen, die einsetzen, sobald Rechtspopulisten in Parlamente einziehen: Die politische Tektonik verschiebt sich dann in der Regel deutlich zulasten der Sozialdemokraten. Dies ist zum einen deshalb der Fall, weil Sozialdemokraten sozialkonservative Wähler verlieren, sobald Rechtspopulisten das Parlament als Bühne für ihre Immigrationsagenda nutzen können. Viele Wähler vertrauen eher den Immigrationspolemiken von Rechtspopulisten oder der Law-and-order-Rhetorik konservativer Parteien als den multikulturellen Programmen von Sozialdemokraten.

Zum anderen bedeutet der Aufstieg von Rechtspopulisten, dass konservative Parteien neue Koalitionspartner gewinnen. Dies kann man gut in Schweden beobachten. Dort liegen die rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) bei etwa 20 Prozent. Etwa 10 Prozentpunkte gingen zulasten der Sozial­demokraten und der Linkspartei und rund 10 Prozentpunkte zulasten der bürgerlichen Parteien. Da aber die SD nur mit bürgerlichen Parteien koalitionsfähig sind, ist das bürgerlich-rechte Lager in Schweden somit um 10 Prozentpunkte gewachsen. Für das sozial­demokratische Musterland Schweden einst undenkbar, liegt die Zustimmung zum bürgerlich-rechten Spektrum nun bei 60 bis 65 Prozent, während die Sozialdemokratie bei mageren 25 bis 30 Prozent verharrt.

Nehmen die Sozis meine Sorgen noch ernst?

Der Aufstieg von Rechtspopulisten verschiebt nicht nur die parteipolitische Tektonik, sondern führt auch zu einem Rechtsruck. Denn entweder übernehmen Parteien der rechten Mitte rechtspopulistische Forderungen, um Wähler zurückzugewinnen sowie die Rechtspopulisten möglichst klein und aus der Regierungsverantwortung herauszuhalten. Oder die Mitte-rechts-Parteien verzichten auf diese Strategie – dann aber können Rechtspopulisten mittelfristig bis zu 25 Prozent der Wählerzustimmung auf sich vereinigen. Als Koalitionspartner werden sie damit umso interessanter. In einer bürgerlich-rechten Koalition werden rechtspopulistische Forderungen schließlich in Gesetze gegossen.

Gut sichtbar ist dies in Frankreich und den Niederlanden, wo Rechtspopulisten seit Jahren präsent sind. Statt die ­Chancen multikultureller Gesellschaften zu diskutieren, debattieren in beiden Ländern alle großen Parteien über die Gefahren von Zuwanderung für die nationale Sicherheit. Obwohl Frankreich und die Niederlande deutlich weniger Flüchtlinge pro Einwohner aufnehmen als Deutschland, soll die Asylgesetzgebung verschärft werden. Weder französische noch niederländische Volksparteien hegen Sympathien für eine stärkere Solidarität gegenüber südlichen Euroländern.

Inwiefern solche politischen Prozesse in Gang gesetzt werden, hängt in hohem Maße vom Verhalten der Sozialdemokraten ab. Denn Rechtspopulisten gewinnen stets dann an Zustimmung, wenn sozialkonservative Wähler den Eindruck gewinnen, dass die etablierten Volksparteien ihre Sorgen nicht mehr ernstnehmen und sich die politischen Debatten vor allem um Europa- und Migrationsfragen drehen.

Bei sozialen Themen schwächeln die Populisten

Bislang sind nur zwei Fälle bekannt, in denen Rechtspopulisten trotz anfänglicher Erfolge scheiterten. Entscheidend war in beiden Fällen ein „konservativer turn“ der Sozialdemokraten: Nach der Verschärfung der Asylgesetze in Schweden und Deutschland unter Zustimmung der Sozialdemokraten Anfang der neunziger Jahre sanken die Zustimmungswerte der schwedischen Ny Demokrati und der deutschen Republikaner in den Keller. Nicht nur die Konservativen, sondern auch die Sozialdemokraten konnten sozialkonservative Wähler wieder an sich binden. Nachdem die zentralen migrationspolitischen Fragen geklärt waren, bestimmten rasch klassische wirtschafts- und sozialpolitische Themen wieder die nationalen Debatten. Dies schadete der Ny Demokrati und den Republikanern zusätzlich.

Denn sobald Wahlkämpfe sich um wirtschafts- und sozialpolitische Fragen drehen, wird schnell klar, dass Rechtspopulisten keine Lösungsansätze parat haben. Dies sieht man aktuell in den Staaten, die am stärksten von der Eurokrise betroffen sind. Weder in Irland noch in Portugal oder Spanien gibt es starke Rechtspopulisten. In Italien sind deren Zustimmungswerte seit Jahrzehnten stabil und keine direkte Folge der Krise. Sogar im krisengebeutelten Griechenland können die Unabhängigen Griechen (ANEL) nur etwa fünf Prozent der Stimmen auf sich vereinen. Im „reichen“ Nordeuropa hingegen, wo wirtschafts- und sozialpolitische Fragen nicht ganz oben auf der politischen Agenda stehen, sind Rechtspopulisten seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch.

Den genau umgekehrten Weg wählten die französischen Sozialisten in den achtziger Jahren, die niederländischen Sozialdemokraten in den Neunzigern und die schwedische ­Arbeiterpartei zu Anfang dieses Jahrzehnts. Sie bestritten ihre damaligen Wahlkämpfe mit linksliberal-multikulturellen Migrationsthemen und traten mit wehenden Fahnen für eine tolerante Integrationspolitik ein. Dadurch verloren die Sozial­demokraten ihre sozialkonservativen Wähler und hielten genau die Themen auf der Agenda, die Rechtspopulisten ­begünstigen. Mit ihrer offensiv progressiven Agenda wurden die Sozialdemokraten somit zu Geburtshelfern des Front Natio­nal, der Liste Pim Fortuyn sowie der Schwedendemokraten.

In allen europäischen Staaten wurde der Aufstieg von rechtspopulistischen Parteien für undenkbar gehalten – bis sie in die ersten Parlamente einzogen. In Frankreich ging man davon aus, dass der Widerstand gegen Nazi-Deutschland ein so starkes liberales Narrativ geschaffen habe, dass jegliche Rechtspartei zum Scheitern verurteilt sei. In den Niederlanden und Schweden vertraute man auf die sprichwörtliche holländische und schwedische Toleranz. Der Front National, die Partei für die Freiheit um Geert Wilders sowie die Schwedendemokraten belegen das Gegenteil: Sie genießen seit Jahren 15 bis 20 Prozent der Wählerzustimmung und demonstrieren damit, wie vergleichsweise gering der Einfluss der „nationalen Geschichte“ auf Parteipolitik wirkt, wenn die Wähler von den etablierten Parteien enttäuscht sind.

Über die AfD-Zukunft entscheiden SPD und Union

Auch in Deutschland wird beständig auf den historischen Kontext verwiesen, um daraus das baldige Scheitern der AfD abzuleiten. Diese Gedanken erinnern frappierend an die Debatten in Frankreich, den Niederlanden und Schweden. Keine Frage: Ob sich eine neue Partei etablieren kann, hängt zu einem begrenzten Grad auch vom nationalen historischen Kontext ab. Weitaus bedeutsamer ist aber, ob die Wähler ihre Sorgen bei den etablierten Parteien gut aufgehoben sehen oder nicht. Über die Zukunft der AfD entscheiden somit nicht primär der Verlauf interner Flügelkämpfe oder die Geltungsmacht der deutschen Geschichte. Ausschlaggebend für die Frage, ob die AfD 2017 in den Bundestag einzieht, wird vielmehr sein, für welche Strategie sich die deutschen Volksparteien entscheiden: Konfrontation oder moderate Annäherung.«

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