Auf diesen Zug sollten wir nicht aufspringen

Welche Zukunft hat das bedingungslose Grundeinkommen? Welche Zukunft sollte es haben? Zur Diskussion um die soziale Absicherung in digitalisierten Zeiten

Ein sozialpolitisches Modell macht Karriere – wie so oft von links unten nach rechts oben. War das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) früher vor allem ein Konzept für linke Utopisten, die das Recht auf Faulheit im hier und jetzt durchsetzen wollten, rufen heute zunehmend die Protagonisten der Digitalisierung danach, zum Beispiel deutsche Konzernlenker wie Timotheus Höttges (Telekom) und Joe Kaeser (Siemens) oder Tech-Pioniere aus dem Silicon Valley wie der Netscape-Gründer Marc Andreesen. Diejenigen, deren Renditen im Zuge von Globalisierung und Digitalisierung durch die Decke gehen, entdecken plötzlich, dass die Flut des Fortschritts eben doch nicht alle Boote gleichermaßen anhebt. Stattdessen verschärft sich die Ungleichheit in den westlichen Gesellschaften.

Verlieren könnten dabei vor allem die Menschen, deren Arbeitsplatz vom technischen Fortschritt bedroht ist und die die Qualifikationen, die in der neuen digitalen Ökonomie gefragt sind, weder haben noch erwerben können. Auf diese Leute, so beschreibt es etwa Siemens-Chef Kaeser freimütig, könnten wir nicht warten, ohne im internationalen Wettbewerb zurückzufallen. Deshalb ist das BGE aus seiner Sicht das richtige Instrument, um den Lebensunterhalt derer zu sichern, die mit dem Tempo des Wandels nicht mitkommen und deren Arbeitskraft in der neuen digitalen Ökonomie nicht benötigt wird. Es entstünde dann eine neue industrielle Reservearmee, weil Maschinen den Job besser und billiger erledigen.

Nun ist die These, dass der Gesellschaft die Arbeit ausgeht, nicht ganz neu. Hannah Arendt formulierte sie erstmals in den fünfziger Jahren, und in den Achtzigern entdeckten Industriesoziologen die „Krise der Arbeitsgesellschaft“ wieder. Im Kontext der digitalen Revolution gewinnt sie allerdings neues Gewicht, denn während früher vor allem einfache industrielle Arbeitsplätze von der Automatisierung bedroht schienen, eröffnet die Digitalisierung auch im Dienstleistungsbereich, der ungefähr drei Viertel unseres Bruttoinlandsprodukts ausmacht, großes Rationalisierungspotenzial.

Für die Digitalisierungs-Protagonisten dies- und jenseits des Atlantiks ist das Grundeinkommen aber nicht nur das Instrument, um die Verlierer des Wandels bei der Stange zu halten und sie vor Verelendung zu schützen. Indem das BGE die Abgehängten aus den Fängen der Sozialbürokratie befreit, soll es ihnen auch neue Freiräume zur kreativen Selbstverwirklichung eröffnen. Allenfalls die Kosten der Einführung erscheinen manchem noch etwas hoch, aber davon hat sich die Tech-Elite bei der Umsetzung visionärer Konzepte noch nie abschrecken lassen. Kurzum: In dieser Zeit des Umbruchs, der die Sozialsysteme auf den Prüfstand stellt, wartet eine neoliberale Elite mit einem Konzept auf, das scheinbar einfach, effizient und menschenfreundlich ist. Wer wollte da noch dagegen sein?

Werden wir wirklich alle arbeitslos?

Einspruch! Je leuchtender die Farben sind, in denen die schöne, neue Welt des BGE gemalt wird, desto mehr gilt es, die Versprechungen zu hinterfragen. Für Sozialdemokratie und Gewerkschaften, die die sozialen Rechte der Beschäftigten in den vergangenen 150 Jahren erstritten haben, gibt es heute keinen Anlass, das Banner des Sozialstaats einzurollen und die weiße Fahne zu hissen. Vielmehr sollten wir aus vier Gründen gegenüber den neoliberalen Versprechungen skeptisch sein.

Erstens: Die Behauptung, die digitale Revolution werde Millionen Menschen arbeitslos machen, ist im Moment weitgehend Spekulation. Natürlich wird die Digitalisierung unsere Art zu arbeiten nachhaltig verändern und zahlreiche Tätigkeiten überflüssig machen. Aber das ist nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite ist, dass neue Jobs entstehen: in der Programmierung und Steuerung digitaler Prozesse, aber auch, weil die digitalisierungsbedingten Produktivitätsfortschritte Mittel freisetzen, um brachliegende gesellschaftliche Bedürfnisse zu befriedigen. Solange wir in unseren Schulen Klassen mit 30 Schülern und in unseren Altenheimen Pflege im Minutentakt vorfinden, gibt es noch genügend Arbeit, bevor uns die Jobs ausgehen. Und selbst wenn eine technische Lösung solcher Bedarfe möglich wäre, ist der Konsens in unserem Land, die Bildung unserer Kinder und die Pflege unserer Alten nicht Robotern zu überlassen, zum Glück ziemlich solide.

Wie die Internetkonzerne funktionieren

Wie also der Netto-Effekt der Digitalisierung bei den Arbeitsplätzen ausfallen wird, ist mehr als offen. Das Spektrum der Prognosen reicht vom massiven Abbau bis zum Zugewinn. Und wenn Maschinen tatsächlich massenhaft unsere Jobs übernehmen, können wir das gute alte Rezept der Arbeitszeitverkürzung in Betracht ziehen.

Zweitens: Zweifellos wird die Digitalisierung den Beschäftigten neue Möglichkeiten der flexiblen Arbeitsgestaltung und Zeitsouveränität eröffnen. Doch die Versprechungen der IT-Giganten und ihrer neoliberalen Apologeten von ultimativer Souveränität des Einzelnen werden wohl weniger von der Sorge um das Wohl der Beschäftigten als von den Erfordernissen der neuen Plattform-Ökonomie diktiert. In dem Moment, wo der Staat die Grundsicherung übernimmt und Arbeit für viele zum Zuverdienst wird, ist die Bahn endgültig frei für all die prekären Beschäftigungsmodelle und Dumpinglöhne, die die Politik derzeit mit Mindestlohn und Regulierung von Zeitarbeit und Werkverträgen mühsam einzufangen versucht. Wer von seiner Arbeit nicht leben muss, weil es ja das BGE gibt, braucht schließlich keinen Mindestlohn.

Werfen wir einen etwas genaueren Blick auf das Geschäftsmodell der Internetkonzerne: Plattformen wie eBay, Amazon, Uber oder AirBnB sind Mittler, das heißt, sie kontrahieren nicht selbst mit den Nachfragern von Waren, sondern vermitteln die Waren und Leistungen scheinbar selbständiger Anbieter. Der Mehrwert der Plattform ist, dass sie beide Marktseiten bereits kennt und mit jeder Transaktion noch ein bisschen besser kennenlernt. So weiß die Plattform mehr über die Kundenbedürfnisse als der einzelne Anbieter es je könnte – und wird für diesen unverzichtbar. Jeder kleine Online-Händler, der die bescheidenen Umsätze im eigenen Shop mit dem florierenden Absatz über eBay vergleicht, weiß das genau.

Mit niedrigem Kapitaleinsatz und minimalen Lohnkosten generieren die Plattformen auf diese Weise schnell große Umsätze und Renditen. Die Risiken einer schwankenden Nachfrage bleiben jedoch an dem formal selbständigen Anbieter hängen. Die soziale Absicherung bleibt ihm überlassen und wird oft genug eingespart, um mithalten zu können. Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung fallen gar nicht an. Dieses Modell, das die Nutzung der Arbeitskraft im Interesse der Plattform optimiert, hat nur einen Schönheitsfehler: Viele selbständige Anbieter können nicht davon leben und werden über kurz oder lang, nämlich spätestens bei der Rente, in die Armut rutschen. Da kommt ein Sozialmodell gerade recht, das die Plattform von Arbeitgeberpflichten befreit und die soziale Mindestabsicherung der Gesellschaft überlässt.

Drittens: Ein oft formuliertes Argument der Befürworter des Grundeinkommens ist das Versprechen, mit dem BGE werde ein ineffizientes System der Sozial-bürokratie durch eine schlanke Lösung ersetzt, das dem Menschen statt angeblich demütigender Bedürftigkeitsprüfungen einen Rechtsanspruch auf angemessenen Lebensunterhalt zubilligt. Was auf den ersten Blick als humanistische Maßnahme erscheint, weckt bei genauerem Hinsehen jedoch Erinnerungen an frühere Vorschläge liberaler Ökonomen mit dem Ziel, den von den Beschäftigten mühsam erkämpften Sozialstaat zu schleifen. Auch Milton Friedmans Konzept der „negativen Einkommensteuer“ aus den sechziger Jahren basierte auf der Prämisse, zunächst alle bestehenden Sozialprogramme abzuschaffen.

Natürlich ist ein System, das gezielt Bedürftige unterstützen will, aufwendiger zu administrieren als das Modell Gießkanne. Aber Mittel, die maßgeblich auch dafür aufgewendet werden, Menschen in den Arbeitsmarkt zu integrieren, die sonst keine Chance hätten, pauschal als „Bürokratiekosten“ zu diskreditieren, entbehrt nicht eines gewissen Zynismus.

Nur am Rande: Dass ein BGE mit Zuwanderung kaum vereinbar ist, weil es ohne lange Karenzzeiten für Zuzügler nicht funktionieren kann, mag aus konservativer Sicht ein angenehmer Nebeneffekt sein. Mit der Vorstellung einer offenen Gesellschaft ist es nicht vereinbar.

Soll das Bewährte einfach über Bord?

Viertens: Das führt uns zur Frage, ob die technologischen Veränderungen der Digitalisierung wirklich Grund genug sind, altbewährte Lösungen wie Normal-arbeitsverhältnisse, Tarifverträge oder soziale Sicherungssysteme über Bord zu werfen und durch das BGE zu ersetzen.

Die deutsche Wirtschaft ist mit sozialpartnerschaftlichen Arbeitsbeziehungen über viele Jahrzehnte gut gefahren. Gerade in der großen Finanzkrise 2008/09 hat alle Welt gestaunt, wie das Zusammenspiel von Arbeitgebern, Gewerkschaften und Politik unser Land durch die Krise manövriert hat. Ein System, in dem der Staat via BGE die Grundsicherung übernimmt, würde Arbeitsbeziehungen auf Augenhöhe weitgehend obsolet machen.

Das heißt nicht, dass unser System der sozialen Sicherung nicht der regelmäßigen Aktualisierung bedarf. Es ist gut, dass Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles den Prozess „Arbeiten 4.0“ auf den Weg gebracht hat. Denn wer jetzt schon die Antworten zu kennen vorgibt, der will sich wohl vor allem vor der Diskussion drücken.

Kurzum: Was als scheinbar menschenfreundliche Lösung daherkommt, ist doch vor allem von den Gesetzen der ökonomischen Effizienz geprägt. Das Grundeinkommen wäre ein gewaltiger Schritt, das Normalarbeitsverhältnis einschließlich auskömmlicher Löhne und sozialer Absicherung abzuschaffen – zugunsten von Freelancer-Modellen, die es Arbeitgebern erlauben, Vorteile zu privatisieren und die soziale Absicherung der Gesellschaft zu überlassen. Hinzukommt, dass Arbeit für viele Menschen auch eine Möglichkeit ist, Wertschätzung zu erfahren, soziale Bindungen zu erleben und das Gefühl zu haben, etwas Nützliches zur Gesellschaft beizutragen.

Letztlich offenbart der Vorschlag des BGE das Menschenbild einer Ich-Gesellschaft, in der sich jeder, ausgehend von der mehr oder weniger komfortablen Absicherung, selbst verwirklichen kann. Ohne Zweifel wird es Menschen geben, die das als großartige Steigerung ihrer Möglichkeiten begreifen und ihre Chance nutzen. Und die anderen? Diejenigen, die ihre Zeit vor dem Fernseher oder mit Konsum vertrödeln, weil sie nie gelernt haben, aus ihrem Leben etwas anderes zu machen? Die sind dann wohl selber schuld, sie hätten ja ihre Chance gehabt.

Das Menschenbild eines solidarischen Miteinanders sieht anders aus. Es zielt darauf, den Einzelnen zu befähigen und zu ermutigen, aus seinem Leben etwas zu machen – auch wenn es ihm nicht in die Wiege gelegt ist. Empowerment nennen das unsere angelsächsischen Nachbarn. Teilhabe durch Arbeit spielt dabei eine Schlüsselrolle. Wie aktivierende Sozialpolitik konkret aussehen sollte und ob das gegenwärtige Hartz IV-Sanktionsregime die bestmögliche Lösung ist, darüber lässt sich streiten. Aber komplett darauf zu verzichten hieße, den Anspruch von Solidarität und gegenseitiger Verantwortung in einer Gesellschaft aufzugeben.

Unfinanzierbar ist die Idee außerdem

In der Debatte um das BGE konkurrieren zwei Ansätze miteinander: Bei dem humanistischen Ansatz geht es darum, den Menschen Teilhabe zu ermöglichen ohne den Zwang zu arbeiten. Ein Grundeinkommen, das diesem Anspruch gerecht werden soll, müsste im vierstelligen Bereich liegen, um ein würdiges Leben zu garantieren. In der Schweiz standen jüngst 2.500 Franken zur Abstimmung. Solch ein Modell ist in Deutschland, das zeigen bereits überschlägige Rechnungen, auf absehbare Zeit nicht realisierbar.

Schon bei einem Betrag von 1.000 Euro im Monat würde das BGE knapp eine Billion Euro im Jahr kosten. Das ist mehr, als die öffentlichen Haushalte heute an Steuern einnehmen (rund 800 Milliarden Euro). Um das zu finanzieren, müssten die Steuern in astronomische Größenordnungen steigen. Bleibt der neoliberale Ansatz, bei dem lediglich ein existenzsicherndes Grundeinkommen ausgezahlt wird – quasi ein Hartz IV für jeden, um den Preis einer Zerschlagung der sozialen Sicherungssysteme in unserem Land.

Machen wir uns keine Illusionen: Das neoliberale Modell eines minimalen existenzsichernden Grundeinkommens ist das einzige, das eine gewisse Aussicht auf Durchsetzung hat. Sozialdemokraten wären schlecht beraten, auf diesen Zug aufzuspringen.

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